Dokumentationen

Hier kann man sich die Dokumentation Zeitraffer Waidmarkt von Eusebius Wirdeier ansehen. Sie deckt den Zeitraum von 2004 bis 2011 ab.

Aus: Zeitraffer Waidmarkt – Bildarchiv 2004–2011 von Eusebius Wirdeier


Eine persönliche Beziehung

Dieses Bildarchiv in Heftform erscheint im Zusammenhang mit der Ausstellung »Drunter und drüber. Der Waidmarkt. Schauplätze Kölner Geschichte 1«, die das Kölnische Stadtmuseum und das Römisch-Germanische Museum Köln gemeinsam erarbeitet haben. Das Heft ist gleichzeitig auch mein Ausstellungsbeitrag, denn in der Ausstellung werden einige Hefte auf verschiedenen Seiten aufgeschlagen und nebeneinander hinter Plexiglas als chronologische Bildstrecke präsentiert.

In einer Veröffentlichung über den Waidmarkt kann nach dem 3. März 2009 das Historische Archiv und der Einsturz des Magazingebäudes nicht unerwähnt bleiben. In »Zeitraffer Waidmarkt« bekommt das Archiv den größten Platz eingeräumt – aus verschiedenen Gründen.

Zunächst ist da meine persönliche Beziehung zum Kölner Stadtarchiv und zu Archiven überhaupt. Mein Vater, der auch ein arger Papiersammler war, nahm mich, als ich noch ein Kind war, eines Samstags mit in die Kölner Innenstadt und führte mich ans Gereonskloster, wo er mir an einem kleinen Platz neben der Kirche den neugotischen Bau zeigte, der 1871 für das Kölner Stadtarchiv errichtet worden war und in dem sich das städtische Archiv damals – um 1955 – noch befand. Ich bekam die Zweckbestimmung von Archiven erläutert und scheine sie gut gespeichert zu haben.

Sechsunddreißig Jahre später klopfte ich mit einer Ausstellung in der Severinstraße 222 an, für die ein angemessener Raum gesucht wurde. Es war die Fotoausstellung »Trotzdem Alaaf!«, die bei und nach den spontanen Umzügen entstanden war, die 1991 trotz Golfkrieg am Rosenmontag durch Köln und auch durch die Severinstraße und über den Waidmarkt gezogen waren. Everhard Kleinertz, der damalige Archivdirektor, nahm die Ausstellung an, gab uns den großen Ausstellungsraum im Erdgeschoß des Magazingebäudes und hielt auch die Eröffnungsrede – vor großem Publikum.

Damit war eine mittelgroße Gruppe von Kölner Fotografinnen und Fotografen über die Schwelle des Archivgebäudes getreten und ich nutzte danach das Archiv für Recherchen zu meinen Büchern und Ausstellungsprojekten.
1997/98, vor der Drucklegung des von Claudia Glunz und Kurt Holl herausgegebenen Bandes »Satisfaction und Ruhender Verkehr –1968 am Rhein«, dessen Gestaltung und Produktion ich übernommen hatte, wurde meine Arbeit mit dem Archiv intensiver, weil ein Teil der im Band behandelten Dokumente dort bereits als Depositum hinterlegt worden waren oder nach der Buchproduktion dort eingelagert werden sollten. Die Zusammenarbeit mit Eberhard Illner, der für Nachlässe verantwortlich war und ein großes Interesse auch für Fotografie zeigte, war sehr fruchtbar.

1999 bearbeitete ich das Findbuch »Protest in Köln – Die Bestände des KölnArchiv e. V.« grafisch und typografisch. Martin Stankowski hatte seit 1970 den Grundstock zu dieser Sammlung von Dokumenten zur sozialen Bewegung im Rheinland als Herausgeber des Kölner Volksblatts angelegt und der Archivar Rudolf Kahlfeld hatte die Bestände verzeichnet und als Liste digitalisiert. Nach dieser Findbuchproduktion erarbeitete ich mit der Medienagentur Hebler und Hebler eine Internetseite gleichen Inhalts <www.koelnarchiv.de>, was mich wieder ins Historische Archiv brachte, wo die Vorbereitungsgruppe für den Internetauftritt tagte. Die Beziehung zum Stadtarchiv wurde also intensiver und ich bekam Lust, die Bestände des Depositums KölnArchiv im sechsten Stock des Magazingebäudes zu fotografieren und einige Schwarzweißabzüge dieser Großformataufnahmen einem Künstlerbuch beizulegen, in dem ich die Makulaturbögen der vorangegangenen Findbuchproduktion in kleiner Auflage wiederverwendet hatte: »Findbuch Makulaturen« – eine der ersten Editionen der Eusebius-Werke.
Schließlich war ich am 16. August 2006 als Gründungsmitglied dabei, als in der Severinstraße 222 auf Anregung der neuen Archivdirektorin Bettina Schmidt-Czaia der »Verein der Freunde des Historischen Archivs der Stadt Köln« gegründet wurde.

Zu dieser Zeit war vor dem Magazingebäude bereits der unterirdische Rohbau des Gleiswechselbauwerks der geplanten Nord-Süd-Stadtbahn Köln entstanden und der Inhalt zwischen den Schlitzwänden, die diesen Raum nach außen abdichteten, war von Archäologen ausgegraben, dokumentiert und aufgenommen worden. Die Archäologie im Zusammenhang mit dem Stadtbahnbau hatte ich schon Ende 2002 als Thema einer freien fotografischen Arbeit beschlossen und mich dafür bei der Kölner Bodendenkmalpflege akkreditiert. Nach einer Informationsphase begann ich 2003 und intensiver ab 2004 damit, die Bau- und Ausgrabungsstellen entlang der etwa vier Kilometer langen Strecke zu besuchen und das Neben- und Nacheinander der Arbeiten zu fotografieren. So entstanden ungezählte Aufnahmen auch vom Waidmarkt mit seinen signifikanten Gebäuden und vom unterirdischen Arbeiten im Gleiswechselbauwerk. Vielleicht war meine Affinität zum Historischen Archiv ein Grund dafür, dass das Magazingebäude so oft mit auf meinen U-Bahn-Ausgrabungs-Fotografien zu sehen ist. Aber auch die Basilika St. Georg, das inzwischen ebenfalls verschwundene Polizeipräsidium, die Gebäude des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums und der Portikus der preußischen Wache – auch der ist zumindest vorübergehend abwesend – ließen mir den Waidmarkt meistens »hochaufgeladen« erscheinen und ich begann, diese Aufladung fotografisch aufzunehmen.
  
Der schreckliche Einsturz und seine Auswirkungen, die ich während einer Auslandsreise aus der Ferne und nur medial aufbereitet verfolgte, erschütterte mich sehr. In der Folge ergaben sich in meinem Freundeskreis Debatten über das Verschwinden von Archivalien und das Ausmaß des Schadens. Nach meiner Rückkehr ließ ich fast zwei Wochen verstreichen, ehe ich den Unglücksort aufsuchte. Ich fotografierte dann die Feuerwehrleute, die nach der Bergung der beiden Todesopfer damit begonnen hatten, in unermüdlichem Einsatz die verschütteten und verstreuten Archivalien zu bergen und zu versorgen, unterstützt von Archivarinnen, Archivaren und zahlreichen freiwilligen Helfern. Inzwischen ist die Bergung abgeschlossen und fünfundneunzig Prozent der Archivalien wurden geborgen und in zwanzig »Asylarchiven« untergebracht, wo sie zusammengesetzt, restauriert und digitalisiert werden. Diese Arbeit wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Der Waidmarkt befand sich – besonders im jahr 2010 – in einem Zustand, wie er in Bildkarten der 1950er-Jahre wiedergegeben wurde: das Archiv nicht existent, der Bau des Gymnasiums schon errichtet, das Hochhaus des Polizeipräsidiums auf einer Brache alleinstehend, ohne Nebengebäude. Das Georgsviertel am Waidmarkt ist im Umbruch und ich beteilige mich an den Überlegungen zur zukünftigen Nutzung und Bebauung des Geländes, seit feststeht, dass das Historische Archiv nicht mehr an diesen Ort zurückkehren wird. Der Archivkrater liegt jetzt wie ein Amphitheater in dem Gelände, an den tiefsten Stellen ist Grundwasser sichtbar. Ich wünsche mir und der Kölner Stadtgesellschaft, dass diese Wunde im kollektiven Bewußtsein nicht kosmetisch verdeckt wird, sondern dass ein Gedenken an dieser Stelle ermöglicht wird und eine dem Historischen Archiv der Stadt Köln ebenbürtige kulturelle Institution mit großer Strahlkraft dort ihren Platz findet.


Eusebius Wirdeier

(Vorwort zu „Zeitraffer Waidmarkt – Bildarchiv 2004–2011“, September 2011)

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